Donnerstag, 23. Februar 2012

ACTA what?

In Europa demonstrieren in diesen Tagen tausende gegen ACTA, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement der EU - Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Mittlerweile dürfte jeder über das PR-Video der Gruppe Anonymous gestolpert sein:


Aber abgesehen von knackigen Videos und lustigen Masken - wer der Demonstranten kennt eigentlich den Inhalt des 52-seitigen Dokuments (das übrigens hier zu finden ist: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/11/st12/st12196.de11.pdf)

Obwohl es bei ACTA auch um Markenschutz bei Kleidung und Ähnlichem geht, scheint hauptsächlicher Bezugspunkt der Demonstranten Abschnitt 5 (ab S.33) zu sein:

ABSCHNITT 5
DURCHSETZUNG DER RECHTE DES GEISTIGEN EIGENTUMS
IM DIGITALEN UMFELD

Interessant wird es beispielsweise bei Absatz 4:

"Eine Vertragspartei kann in Übereinstimmung mit ihren Rechts- und Verwaltungsvorschriften
ihre zuständigen Behörden dazu ermächtigen, einem Online-Diensteanbieter gegenüber anzuordnen,
einem Rechteinhaber unverzüglich die nötigen Informationen zur Identifizierung eines Abonnenten
offenzulegen, dessen Konto zur mutmaßlichen Rechtsverletzung genutzt wurde, falls dieser
Rechteinhaber die Verletzung eines Marken-, Urheber- oder verwandten Schutzrechts
rechtsgenügend geltend gemacht hat und die Informationen zu dem Zweck eingeholt werden, diese
Rechte zu schützen oder durchzusetzen."

Sprich: Wer Musik oder einen Film klaut bzw. illegal herunterläd und dabei persönliche Informationen, beispielsweise zur Abschließung eines Abos oder zur Anmeldung, eingegeben hat, muss damit rechnen, dass diese Informationen an den Rechteinhaber (z.B. die Filmproduktionsfirma) weiter gegeben werden. Im realen Leben: Du klaust eine CD bzw. bekommst eine illegal gebrannte CD von einem Zwischenhändler und dieser ist dann gezwungen deine Informationen an den Rechteinhaber, z.B. die Produktionsfirma, weiterzugeben.

Damit wäre die Anonymität des Internets nicht mehr vollständig gegeben. Andererseits - wer etwas illegal erwirbt muss doch damit rechnen, dass dies nicht ohne Folgen bleibt? Im Grunde genommen ist es doch so: Klar, wir finden es alle schön umsonst Filme und Musik herunterzuladen. Insbesondere die Filmindustrie verzeichnet dadurch allerdings erhebliche Umsatzeinbuße (die Musikindustrie hingegen konnte sich in der Zwischenzeit andere Erlösquellen wie Konzerte und Merchandising stärker erschließen). Und let's face it: Das ist einfach illegal. Natürlich hat keiner Lust etwas abzuschaffen, was ihm Geld spart und das Leben leichter macht. Das macht es aber leider trotzdem nicht weniger illegal und es kann eigentlich nur im Interesse der gesamten Bevölkerung sein geistiges Eigentum zu schützen.

Bei den meisten der Artikel steht übrigens dabei:
"Diese Verfahren sind so anzuwenden, dass [...] Grundsätze wie freie
Meinungsäußerung, faire Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre beachtet werden."

Die deutschen Gesetze zum Schutz der Privatsphäre und der freien Meinungsäußerung sind also - zumindest in der Theorie - zu beachten.

in Absatz 6 werden Schutzbestimmungen gegen
"das unerlaubte Umgehen einer wirksamen technischen Vorkehrung durch einen
Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine
Verletzungshandlung vornahm [...]"

Das ist etwas schwammig. Wann kann man jemandem vorwerfen er hätte wissen müssen beispielsweise gerade eine illegale Plattform zu nutzen. Gerade Digital Natives, die heute 15- oder 16-Jährigen sind vielleicht schon so versiert im Umgang mit diversen Medienplattformen, dass ihnen die Illegalität der Angebote manchmal nicht ganz bewusst ist oder sie zugegebenermaßen auch nicht interessiert.
Manche Websites, die sich in einer Grauzone der Illegalität bewegen, wie beispielsweise www.kinox.to oder www.free-tv-video-online.me, sind so professionell aufgemacht, dass selbst der medienaffine Nutzer sich der Illegalität nicht immer bewusst ist. Dazu kommt: Jeder nutzt diese Angebote. Und im Bewusstsein, dass auch der gesamte Bekannten- und Freundeskreis die entsprechenden Seiten nutz,t vergisst der Einzelne schnell, dass es sich eben nicht um legalen Medienkonsum handelt."Vernünftigerweise" ist in diesem Zusammenhang mehr als unklar und müsste im Einzelfall diskutiert und entschieden werden. Was ist vernünftig?

 Absatz 7:
Taten, die ebenfalls verfolgt werden sollen:
"a) Entfernung oder Änderung elektronischer Informationen für die Wahrnehmung der Rechte,
b) Verbreitung, Einfuhr zur Verbreitung, Sendung, öffentliche Wiedergabe oder
Zugänglichmachung von Werken, Darbietungen oder Tonträgern in Kenntnis des Umstands,
dass elektronische Informationen für die Wahrnehmung der Rechte unbefugt entfernt oder
geändert wurden. "

Elektronische Informationen wären z.B. Name des Künstlers, des Urhebers oder Informationen über Nutzungsbedingungen.

Das hier ist z.B. das Bild Sternennacht


Da ich den Namen des Künstlers und die Informationen über Nutzungsbedingungen verschwiegen habe, müsste Google, zu denen Blogspot gehört, die Informationen zu meinem Konto hier also weitergeben (wenn der heutige Besitzer danach fragen würde!).
Das Bild ist übrigens unter folgendem Link auch Online zu finden: http://www.sonntagsblatt-bayern.de/img03/2008_51_04_01_02.jpg (macht sich das Sonntagsblatt Bayern dann nicht auch strafbar? Unter der URL sind weder Name noch Nutzungsbedingungen angegeben, das Bild konnte ich mit zwei Klicks in meinen Blog kopieren und es somit unbefugt weiterverbreiten).
(Das Bild ist übrigens von Edvard Munch)


Die Intentionen von ACTA sind gut. Wie genau die einzelnen Artikel in Zukunft umgesetzt werden sollen, ist jedoch unklar und wirft, wie oben erläutert, einige Fragen zur Praktikabilität auf.
Das Internet ist eben doch ein relativ anonymer Raum. Rechtsfrei sollte er dennoch nicht sein aber inwiefern sich strengere Richtlinien durchsetzen lassen, ohne dabei die Meinungs- und Informationsfreiheit anzutasten, sollte besser noch einmal diskutiert werden.

Laut www.welt.de passiert in diesen Tagen genau das:

"Brüssel gibt dem Druck der Kritiker nach und legt das massiv umstrittene Acta-Abkommen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor. "Wir werden das Gericht um eine Beurteilung bitten, ob Acta auf irgendeine Art gegen fundamentale Rechte und Freiheiten der EU verstößt, sei es die Meinungsfreiheit, der Datenschutz oder der Schutz geistigen Eigentums", verkündete der zuständige Handelskommissar Karel De Gucht in Brüssel."
(http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article13882491/Bruessel-schiebt-Acta-auf-die-lange-Bank.html)